Die Wurzeln
vom Turfkönig
Kürzlich drückte mein Vater mir eine
Kiste mit alten Unterlagen in die Hand, die er beim Umräumen
gefunden hatte. Zwanzig Jahre alte Schularbeiten - und meine
erste Zeitung, natürlich zum Thema Galopprennen. Dieses
Meisterwerk der Publizistik möchte ich Ihnen nicht vorenthalten.
Es handelt sich um ein sechs Seiten starkes
Magazin mit dem Titel "Pferde in Form", das
ich in Gemeinschaft mit meinen - ebenfalls zwölfjährigen
- Freundinnen Jule und Saskija herausgab. Den Namen - den
wir genial und, was die Vermarktung des Blattes betraf, auch
äußerst wirkungsvoll fanden - fanden wir kurz nach
Erscheinen der ersten Ausgabe zu unserem Erstaunen in der
Tabelle "Presse-Tips" der Sport-Welt wieder.
Erfreut über unseren weitreichenden Einfluß, aber
auch beunruhigt über die möglicherweise markenrechtlichen
Verstöße, die wir begingen, falls es ein anderes,
gleichnamiges Blatt gäbe, haben wir einen Brief an das
Direktorium geschrieben, und auf unsere Verlegertätigkeit
hingewiesen mit der Bitte, uns zu informieren, ob es womöglich
eine andere Zeitung mit Namen "Pferde in Form" gäbe.
Leider bekamen wir keine klare Antwort. Jahre später
ging mir auf, daß die Rubrik "Pferde in Form"
bei der Sport-Welt genau das aufführte, was sie
versprach: Pferde in Form.
"Pferde in Form" kostete 80 Pfennig,
hatte ein handcoloriertes Titelblatt (eine Fotokopie aus "In
Sattel und Sulky", unserer besten Wissensquelle) und
war ökonomisch gesehen ein Flop. In Ausgabe 2 führten
wir Rabattmarken ein, Nummer 3 glich einer Not-Ausgabe, und
Heft Nummer 4 kam nie in den Handel.
Unsere besten Kolumnen waren "Das unbekannte
Wort" ("Disqualifikation: Wenn ein Traber im
Rennen galoppiert oder wenn ein Galopper einen anderen beißt
oder wenn Fahrer wie Reiter unfair handeln, werden sie disqualifiziert,
das heißt ausgeschlossen, auch wenn sie Sieger waren"),
"Wetten - aber wie?"-Anleitungen und themenspezifische
Kreuzworträtsel ("Mutter von Union Spark aus
Röttgen", 7 Buchstaben). Um die Produktion von
"Pferde in Form" voranzutreiben, gründeten
wir den Prince-Ippi-Club, der fünf goldene, schriftlich
festgehaltene Regeln hatte: 1) regelmäßiges
Treffen auf der Galopprennbahn Weidenpesch. 2) Beteiligung
an der Zeitschrift "Pferde in Form". 3) Auch ab
und zu mal was spenden. 4) Auch mal was Schwieriges allein
übernehmen. 5) Verdammt zuverlässig sein.
In Punkt 5 (oder 3? oder 4?) sind wir trotz
des großzügigen Schreibmaschinen-Verleihs meiner
Mutter hemmungslos gescheitert. Den Prince-Ippi-Club gibt
es nicht mehr, Jule habe ich aus den Augen verloren, aber
Saskija geht heute noch auf die Rennbahn. Und gewissermaßen
hat der Turfkönig das späte Erbe von "Pferde
in Form" angetreten - wenn auch in wesentlich besserem
Layout. Und ganz entgegen dem Zeitgeist: sogar billiger.
(Der Internet-übliche Exhibitionismus,
gewürzt mit einer Prise Chianti. Man möge es mir
verzeihen)
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